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L ZUR VOLKSKUNDE. Religionen:reichung aller Wünsche. Wer die Mittel besitzt, um die Habgier
der Brahmanen zu befriedigen, kann durch die von ihnen darge-
brachten
Opfer von den Göttern alles erzwingen. Mit einem Mal
taucht ein neuer Gedanke auf, der für die ganze weitere Entwick-
lung
des religiösen Lebens in Indien von grundlegender Bedeutung
sein sollte. Das ist der Glaube an die Seelenwanderung, dessen
Ursprung nicht vollkommen klar ist. An die Stelle der hoffnungs-
freudigen
Erwartung eines glückseligen ewigen Fortlebens im Him-
mel
tritt die Überzeugung, daß jedes Individuum nach dem Tode
immer wieder einer neuen Existenz entgegengeht, in der es den
Lohn für früher erworbenes Verdienst und die Strafe für früher
begangenes Unrecht empfängt. Unverdientes Glück und unver-
schuldetes
Unglück gibt es nicht nach diesem Glauben, der dem
Inder eine erstaunliche Kraft im Ertragen von Leiden verliehen
hat. Seit ihrem ersten Auftreten gilt die Lehre von der Seelen-
wanderung
in Indien als ein selbstverständliches Dogma, an dem
nur die Vertreter des krassen Materialismus gezweifelt haben. Sie
liegt allen späteren indischen Religionen und philosophischen Sy-
stemen
zu Grunde und beherrscht noch heute die Gemüter, selbst
derjenigen Inder, die europäische Ausbildung genossen haben. Von
Anfang an wirkte der Glaube niederdrückend und erzeugte ein
lähmendes Gefühl der Unsicherheit. Die Überzeugung, daß man
beständig durch Menschen-, Tier- und Pflanzenleiber wandern, in
jeder Existenz mehr Schmerz als Freude erfahren und immer aufs
neue die Schrecken des Todes kosten müsse, daß man gelegentlich
auch einmal zu einem Aufenthalt in der Hölle verurteilt sein werde,
verdüsterte dem Inder das Leben; sie wurde auch nicht durch die
Aussicht, daß man durch seine Verdienste in den Himmel gelangen
könne, in trostreicher Weise ausgeglichen; denn auch die Himmels-
bewohner
stehen nach der Lehre von der Seelenwanderung in dem
Kreislauf der Existenzen (samsâra) und müssen wieder zu niederen
Daseinsformen herabsteigen, wenn die Kraft früher erworbenen
Verdienstes erschöpft ist. So stehen die zwei Lehren im engsten
Zusammenhang, die von der ewigen Wanderung und die von der
alles bestimmenden, nachwirkenden Kraft der Tat (karman).

Noch ein anderer Gedanke von mehr theologisch-philosophischer
Art ist für die Ausbildung des Brahmanismus charakteristisch.
Schon gegen das Ende der alten vedischen Periode hatte man an-
gefangen
, einen unpersönlichen Gott unter verschiedenen Bezeich-
nungen
an die Spitze der Götterwelt zu stellen. Jetzt führten
Betrachtungen über die zwingende Macht, die dem religiösen Liede
und dem Zauberspruch (brahman) zugeschrieben wurde, zu einer
Steigerung dieses Begriffs. Die Kraft, die mächtiger erschien als
die Götter und Naturkräfte, wurde als eins angesehen mit dem Ur-
grund
alles Seins, mit der ewigen unendlichen Kraft, die die Welt
erschaffen hat und erhält. So wurde das Brahman zur Weltseele,